Ein Kommentar von Rudi Grande

Die Anfänge von QAnon lassen sich auf einen mysteriösen Eintrag des Internetusers mit dem Pseudonym „Q“ auf dem extremistischen Internetportal 4chan im Oktober 2017 zurückverfolgen. Dort postete „Q“, dass die Verhaftung von Hillary Clinton unmittelbar bevorstünde. Basierend auf dieser Ankündigung begannen dann Leser, Plattform-moderatoren und YouTuber eine mysteriöse Geschichte zu stricken und beriefen sich dabei auf die angebliche zuverlässige und kompetente Quelle „Q”. Mit dem Buchstaben Q bezeichnet man in den USA auch die höchste nichtmilitärische Sicherheitsstufe für Regierungsinsider mit Zugriff auf streng geheimes Material. Anon steht für anonym, da sich auf der Userplattform von 4chan niemand registrieren lassen musste. Der Mythos um „Q“ keimte ebenso auf wie parallel auch neue Verschwörungstheorien. „Q“ selbst befeuerte diese mit weiteren, teils fragmentarisch- kryptischen – inzwischen Q-Drops genannten – Posts weiter. Mit kruden Botschaften fütterte „Q“ gewissermaßen seine Anhänger und nahm sie so sukzessive mit ins Boot seiner Theorie von der Existenz eines sogenannten Tiefen Staates (Deep state). Eines Staates im Staat, bestehend aus Politkern, Prominenten, Beamten und Geheimagenten, deren erklärtes Ziel es sei, US-Präsident Donald Trump kaltzustellen. Mit Barack Obama als Strippenzieher im Hintergrund. Trump hätte seine Präsidentschaft eigens dazu angetreten, um diesem Tiefen Staat den Kampf anzusagen. Diesen zu bekämpfen, seine Opfer zu befreien und die Protagonisten – wie Hillary Clinton oder Barack Obama – zur Verantwortung zu ziehen und somit das Böse zu besiegen, das sei seine Mission. Die Gesandtschaft für das Gute also. Wer denkt, dass es sich bei dieser Verschwörungstheorie eher um einen schlechten Scherz handelt, der irrt leider. Bereits die erste Theorie, dass Hilary Clinton im Keller einer Washingtoner Pizzeria Kinder gefangen hielte und von dort aus ein internationales Pädophilennetz betreiben würde hatte Folgen: Das sogenannte Pizzagate – in Anlehnung an die Watergateaffäre, die den damaligen Präsidenten Richard Nixon zu Fall brachte – war geboren. Und bereits im Dezember 2017 versuchte ein bewaffneter Eindringling, die dort vermuteten Kinder auf eigene Faust zu befreien und schoss um sich. Die Tatsache, dass sich in dieser Pizzeria weder Keller noch Kinder befanden störte die QAnon-Anhänger im Nachgang jedoch keineswegs. Denn QAnon stand ja für das Gute, und nur das zählte.  Im Gegenteil: Qs Anhängerschaft bastelten und sponnen aus immer neuen – inzwischen über 1800 – puzzleartigen Q-Drops weitere Varianten und Facetten der ursprünglichen Verschwörungstheorie zusammen und konnten somit konstruktiv an der „guten Sache“ mitwirken. Was dadurch wiederum weitere begeisterte Anhänger fand. Perfides Dominoprinzip und zugleich interaktiv wachsender Organismus, was vermutlich von Q genauso beabsichtigt war.

In der Zwischenzeit verbreitete sich in der digitalen Welt das QAnon-Virus schneller aus als das reale Corona-Virus. Was zunächst als Spinnertum auf der anderen Seite des Ozeans angesehen und belächelt wurde, schwappte bald über den großen Teich auch nach Europa herüber und traf speziell in Deutschland und in der Schweiz auf unerwartet fruchtbaren Nährboden. Hierzulande auch bei Prominenten wie Xavier Naidoo und Attila Hildmann, die einerseits die Existenz des Corona-Virus leugnen und andererseits einen starken Einfluss auf ihre große Fangemeinden ausüben. Und sich mit anderen „Eingeweihten“ und „Berufenen“ solidarisieren, inzwischen international austauschen und weiter gegenseitig in ihren noch so absurdesten Theorien bekräftigen, unterstützen und befeuern. So breitet sich die QAnon-Bewegung nun auch in Deutschland Buschbrandartig aus. Ihre Vertreter mit entsprechenden Symbolen auf T-Shirts und Plakaten versehen sind nun nicht nur wie bisher auf amerikanischen Wahlkampfveranstaltungen zu entdecken sondern auch hier bei den inflationär zunehmenden Demonstrationen der Corona-Maßnahmen-Gegnerschaft in Stuttgart, Berlin und anderswo. Dabei übertreffen sich die Verschwörungstheorien inzwischen an absurdem Wahnwitz. Mittlerweile werden immer mehr namhaften Politikern und prominenten Medienvertretern pädophile Handlungen mit satanistischem Hintergund unterstellt. Als besonders bizarr gilt die Variante über:

Adrenochrom und Antisemitismus

Traurig aber wahr, die Theorien überbieten sich mit abstrusem Aberwitz: Den – inzwischen weltweit – in Kellern und Verliesen gefangen gehaltenen und missbrauchten Kindern soll das körpereigene Stoffwechselprodukt Andrenochrom abgezapft werden. Bekannt unter anderem aus dem Roman Fear and Loathing in Las Vegas und der gleichnamigen Verfilmung soll diese Substanz als halluzinogene Droge oder aber auch als „Verjüngungsmittel“ für die prominente Elite gewonnen werden. Aber selbst dieses Horrorszenario wird noch getoppt: das dafür benötige Blut der gefangen gehaltenen Kinder wird nicht nur einfach so abgezapft. Zuvor müssen Gladiatorenähnliche Kämpfe bis auf den Tod entscheiden, wer – zunächst – vor dem Ausbluten verschont bleibt und wer anschließend auch noch für kannibalistische Riten benutzt wird. Wenn es nicht so unglaublich traurig und zugleich gefährlich wäre, so könnte man über so wahnwitzige Theorien nur schallend Lachen. Verfolgt man allerdings die Theorienbildungen und Kommentare im Internet und den sozialen Medien, so bleibt einem das potentielle Lachen schnell im Halse stecken. Denn die traurige Wahrheit ist, dass sich sogar derartig abstruse Verschwörungstheorien inflationär vermehren und verbreiten. Und deren Anhängerschaft jeglichen Tatsachen gegenüber jedwede Art von Vernunft resistent sind; allein der Glaube für eine gute Sache zu stehen und zu kämpfen lässt sie gegenüber Fakten und gesundem Menschenverstand immun werden. Denn Fakten sehen sie wiederum als Fakenewspropaganda der Gegenseite – des Tiefen Staates an – und somit erscheinen ihnen ihre Ansichten als rund und stimmig. Dass beispielsweise Andrenochrom auch synthetisch – und somit viel unkomplizierter als in dem konstruierten Horrorszenario – hergestellt und besorgt werden könnte, interessiert die QAnon-Anhänger wenig. Gegenüber dem Narrativ der Realität sind sie weitest gehend unbelehrbar. Die schnelle Verbreitung sowie der Erfolg der QAnon-Bewegung wäre ohne das Internet undenkbar. Unter den Befürwortern und Anhängern tummeln sich nicht zuletzt apokalyptische Endzeitgläubige. Bei der Theorie von Adrenochrom in Verbindung mit Kindern beschleicht einen gleich eine unheilvolle Assoziation. Denn hier nutzt QAnon altbekannte antisemitische Motive, so der Journalist Hannes Stein: „Das ist wirklich die mittelalterliche Ritualmordpropaganda. Es gibt ja diese Darstellungen auch, wo Juden das Blut von Kindern aussaugen. Also das ist ein ganz tiefes Bild, was da beschworen wird.“

Der Deutsche Kinderverein e.V. distanziert sich von den jeglicher Authentizität und Seriosität entbehrenden Theorien der QAnon-Bewegung, deren Vertretern sowie Anhängern ausdrücklich und vehement.