Whistleblower gibt es nicht nur in Geheimdiensten
Die Zahlen misshandelter, missbrauchter und getöteter Kinder sind in Deutschland seit Jahren stabil auf einem erschreckend hohen Niveau. Kinderschützer wie der deutsche Kinderverein e.V. mit Sitz in Essen fordern deshalb neben Kinderrechten im Grundgesetz seit langem, dass Kinderschutz zum Pflichtfach wird in der Erzieherausbildung, im Studium Soziale Arbeit, in der Pädagogik/Erziehungswissenschaft, in der Ausbildung für das Familiengericht, im Psychologiestudium, in der Ausbildung von Kinderärzten, Verfahrensbeiständen und Sachverständigen.
Wie sieht der Kinderschutz in Deutschland aber von innen betrachtet aus? Wie erleben etwa Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter ihren Beruf? „Wir bekommen immer wieder Briefe von Whistleblowern“, berichtet Rainer Rettinger, Geschäftsführer des Deutschen Kindervereins. „Für uns ist die Perspektive dieser Menschen sehr wichtig, weil wir daraus unter anderem Forderungen und Ansätze für Verbesserungen an die Politik ableiten können“, so Rettinger.
„Wer im Allgemeinen Sozialen Dienst eines Jugendamtes arbeitet, der muss hart im Nehmen sein“, beschreibt ein Whistleblower die häufigen Anfeindungen: „Entweder klaut man Kinder aus unbescholtenen Familien oder man hat „faul auf der Haut gelegen“, während irgendwo ein Kind missbraucht wurde.“ Fehler, so der Briefschreiber, passierten auch in seinem Beruf und sie können Kinder zerstören. Dies sei tragisch, könne jedoch mit allem Personal und aller Ausbildung nie völlig ausgeschlossen werden. Der Beruf brauche Mut, Entscheidungen zu treffen aber auch den Mut, sich Fehlern zu stellen und ehrlich zu sein – sich selbst gegenüber und den Menschen gegenüber, mit denen man zu tun hat.
Fehlendes Wissen, fehlende Erfahrung und fehlende Rechtskenntnis, fehlendes Wissen über Traumapädagogik seien oft Fehlerquellen in den Jugendämtern. Aber auch fehlende Haltung: „Mit der richtigen Haltung – Respekt, Transparenz und Fallwissen – kann ich auch in Kinderschutzfällen den Eltern auf Augenhöhe begegnen und trotzdem im Fall der Fälle Maßnahmen durchsetzen“, berichtet der Schreiber dem Kinderverein.
„Solche Berichte zeigen uns, wie wichtig Unterstützung bei der Berufswahl und Beratung vor und während der Ausbildung sind“, erklärt Rainer Rettinger. „Wir wünschen uns mehr solcher Briefeschreiber, die ihre Erfahrungen mit ihrem Beruf, Missstände und Positives an uns weitergeben.“ Es gehe dabei nicht darum, in Einzelfällen zu beraten oder bestimmte Einrichtungen zu kritisieren, sondern darum, ein differenziertes Bild zu erhalten und für die Zukunft zu lernen, so Rettinger weiter. Die Erkenntnisse werden an Wissenschaft und Politik weitergegeben. Einsendungen sind per Mail unter post@deutscher-kinderverein.de möglich, der Verein bittet um die Angabe des Bundeslandes und der Funktion des Verfassers und ob Rückfragen möglich und erwünscht sind.