Wo Thomas Fischer beim Thema Kinderschutz irrt und in die Irre führt, und woran sich das erkennen lässt
Thomas Fischer, Jurist, Buchautor und Kolumnist, äußert sich im Magazin „Der Spiegel“ zu dem Positionspapier „Sexuellen Kindesmissbrauch bekämpfen“, das die CDU/CSU-Fraktion am 12. Februar 2019 dem Bundestag vorgelegt hat. Seine polemische Einlassung ist so problematisch wie deutungsbedürftig und ergiebig.
Beispielhaft stellt Thomas Fischers Essay ein Dokument der Abwehr gegen die wissenschaftlich belegte Tatsache dar, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder sehr häufig und in allen Milieus geschieht, und dass gezieltere Mittel zur Prävention wie zur Ahndung der Tatbestände ein gesellschaftliches Desiderat darstellen.
Das ambitionierte Positionspapier der CDU/CSU enthält eine Reihe von Vorschlägen, die Fischers Text lapidar bis polemisch zu entkräften sucht. Unter anderem spricht er sich dabei gegen Strafverschärfungen aus, da, laut seiner Aussage, „99 Prozent“ der Täter „sozial integrierte Menschen“ seien, „die einfach hoffen, nicht erwischt zu werden.“ Durch ein drohendes, höheres Strafmaß seien diese daher kaum abzuschrecken.
Kriminalpolizeiliche Statistiken zum Hellfeld rechnet der Autor klein und blendet gänzlich das Dunkelfeld aus, dem sämtliche mit den Delikten befassten Behörden und Institutionen (wie BKA, UBSKM, kriminologische Forschung) erheblichen Umfang zuerkennen.
Juristische Terminologie setzt der Autor mit vorgespielter Akribie als Blendwerk ein, nutzt jedoch überwiegend sprachliche Bilder, Metaphern und Vergleiche, die der Bagatellisierung von Fakten und Vortäuschung valider Gegenargumente dienen. Bei alledem weist Fischers Essay verblüffende Vehemenz und Verve auf, und scheut zum Ausgleich nicht davor zurück, sarkastisch die Polemik seines Engagements einzugestehen.
So bedauerlich der Befund zu diesem Spiegel-Essay ist, es lässt über die Besorgnis hinaus daraus einiges lernen über die Strategien von Abwehr und Widerstand, gerade dort, wo sich Rationalisierungen als durchaus irrational erweisen.
Die Kernfrage an einen Text wie diesen lautet: Cui bono? Wem zuliebe, in wessen Interesse argumentiert ein strafrechtlich geschulter Jurist in dieser gravierenden Sache derart unsachlich? Auch jenseits der Lust an Polemik und der Freude an öffentlicher Aufmerksamkeit scheinen affektive Motive mitzuspielen. Die Analyse einiger der semantischen und rhetorischen Strategien des Textes hilft, diese Motive zu erkennen. Sie fördert darüber hinaus die Hellhörigkeit für solche und ähnliche Strategien der Abwehr gegenüber dem Thema Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung.
Die Analyse lohnt also, denn die Thematik sollte öffentlichen Irreführungen wie diesen nicht ausgesetzt sein. Oberflächlicher und unseriöser Umgang mit der Problematik konterkariert die Anstrengungen all derer, die sich in der Politik, in Jugendämtern, Organisationen, Vereinen, Kliniken und therapeutischen Praxen hauptamtlich wie ehrenamtlich dem Schutz von Minderjährigen vor Gewalt widmen.
Eine wissenschaftlich kommentierte Dokumentation des Textes finden Sie hier