Effizienter und effektiver Kinderschutz.
Die Haltung des Deutschen Kindervereins:
Wir benötigen einen Kinderschutz in Deutschland, der das Kind in den Mittelpunkt stellt und nicht die Eltern. Hilfe für die Eltern ist oft notwendig, aber rechtfertigt und bestimmt sich durch die Bedarfe und Notlagen des Kindes. Hilfen zur Erziehung sollten daher vorrangig eine Hilfe zum verbesserten Schutz und zur Entwicklung der Kinder sein. Dies erfordert eine Neu-Orientierung der Jugendhilfe.
Noch immer gibt es zu wenige Jugendämter, die das Kind und sein Erleben konzeptionell in das Zentrum stellen. Es fehlt an einer klaren Haltung für das Kind und es fehlt aufgrund der kommunalen Zuständigkeit bei fehlender Fachaufsicht in unterschiedlichem Maße an Geld. Die Frage stellt sich dringender als je: Was ist uns Kinderschutz allen wert? Wer Kinderschutz will, muss in die Zukunft investieren. Eine Frage lautet also: Wo ist der Rettungsschirm für die Kinder und den Kinderschutz?
Überall dort, wo Kinderschutz zu lesen ist, sollte auch universitär ausgebildeter Kinderschutz zu finden sein. Die Politik ist gefordert, für die akademische Qualifikation aller im Kinderschutz tätigen Professionellen zu sorgen. Kinderschutz muss Gegenstand der Forschung an den Hochschulen und zum Pflichtfach werden im Studium Soziale Arbeit, in der Pädagogik, in der Ausbildung für das Familiengericht, im Psychologiestudium,
in der Ausbildung von Kinderärzten, Verfahrensbeiständen und Sachverständigen. Auch in Ausbildungsgängen, etwa der ErzieherInnen und Krankenpflege muss dieses Themengebiet abgedeckt werden.
Der Politik ist es bis dato nicht gelungen, für eine verpflichtende Qualifikation im Kinderschutz zu sorgen. In diesem interdisziplinär fundierten, persönlich herausfordernden und fachlich höchst anspruchsvollen Feld darf es aber kein „training on the job“ geben. Das Studium muss, wie bereits erwähnt, alle verantwortlichen Berufsgruppen in Jugendhilfe, Gesundheitswesen und Justiz (Familienrichter) befähigen, Kinder und Jugendliche fachkundig und wirksam vor sexualisierter Gewalt, schwerer Vernachlässigung und Misshandlung zu schützen. Ergänzend muss die Politik sicherstellen, dass alle pädagogische Fachkräfte, auch in den Schulen, ein Pflichtfach Kinderschutz absolvieren, in dem sie persönlich und fachlich befähigt werden, Hinweise zu erkennen und an Schutzmaßnahmen mitzuwirken, aber auch im Berufsalltag mit traumatisch belasteten Kindern zu arbeiten.
Weitere Forderungen:
- Es bedarf zügig einer unabhängigen Evaluation der entsprechenden Ausbildungs- und Studiengänge, um festzustellen, inwieweit der Kinderschutz in den entsprechenden Curricula verankert werden muss (Vgl. zur Erhebungspraxis in Hessen und zu Defiziten der Hochschullehre Berneiser, C.; Baz Bartels, M.: Interdisziplinäre Lehre im Kinderschutz – Teil 1, ZKJ 2016, 440–444. Dies. Teil 2, ZKJ 2017, 4–7. ). Für bereits im Kinderschutz praktizierende und in der Regel nicht spezifisch ausgebildete Berufsgruppen (Jugendamt, Familiengericht, medizinischer Kinderschutz, Polizei, Inobhutnahme und ambulante Hilfen zur Erziehung, Prozessbegleitung, Verfahrensbeistand, Fachberatung, IseF) empfiehlt sich die Entwicklung und Förderung sowie tarifliche Abbildung verpflichtender, interdisziplinär angelegter Fort- und Weiterbildungen auf akademischem Niveau, die im Rahmen der Berufstätigkeit zu absolvieren sind.
- Forschung der Hochschulen zum Kinderschutz ist in Deutschland ist noch viel zu wenig entwickelt, es fehlt an Professuren, Mitteln und Anreizen. Der daher vorrangig durch Institute geleisteten Auftragsfor- schung von Bund, Ländern. Kommunen und Trägern fehlt es an Unabhängigkeit. Um Schwachstellen in Staat und Gesellschaft zu identifizieren und die ungeheure Zahl misshandelter und sexuell missbrauchter Kinder deutlich zu verringern, ist die Hochschulpolitik gefordert, dieses Themenfeld in Forschung und Lehre nachhaltig zu implementieren.
- Sonstige Begleitforschung: Konzepte des Kinderschutzes in den Jugendämtern, Schulen, Sportvereinen, Kitas etc. sollten wissenschaftlich evaluiert werden, dies gilt insbesondere für die fachliche Qualität der so genannten „insofern erfahrenen Fachkräfte“, die Erzieher und andere Fachkräfte in diesen Institutionen beraten. Bei der Prozess- und Ergebnisevaluation insbesondere der öffentlichen Jugendhilfe ist die Unvoreingenommenheit der beauftragten Forschungseinrichtungen bzw. Institute wichtig, diese sollten nicht schon in den Vorjahren in die Praxisentwicklung eingebunden gewesen sein und sich damit evtl. zur selbstkritischen Revision der eigenen Empfehlungen gezwungen sehen.
- Es bedarf einer Anlaufstelle für Beschwerden und sog. Whistleblower sowie die weitere Schaffung und Finanzierung von unabhängigen Ombudstrukturen in der Jugendhilfe.
- Gesundheitswesen: Nicht erst der Fall Fabio zeigt, dass eine verpflichtende Vorstellung von Kindern bei Verdacht auf Kindesmisshandlung / Sexuelle Gewalt / schwere Vernachlässigung in der Rechtsmedizin bzw. spezialisierten Kinderschutzambulanzen zu selten erfolgt. Es empfiehlt sich die gesetzliche Verankerung einer Pflicht zur medizinischen Abklärung von Hinweisen auf körperliche Gewalt in § 8a SGB VIII. Einrichtungen des medizinischen Kinderschutzes sind in NRW so auszubauen, dass gewaltbetroffenen Kindern lange Fahrtwege und auch zermürbende Wartezeiten in den Kliniken erspart werden – evtl. ergänzt durch ein rechtsmedizinisches Konzil.