Deutscher Kinderverein fordert politische Verantwortung

Es fehlt an allem in der Jugendhilfe: Fachkräfte, Geld, Pflegestellen, eine gute technische Ausstattung, Räumlichkeiten. Die Folgen für Kinder und Jugendliche in Notsituationen sind unhaltbar. Der gesetzliche Auftrag zum Kinderschutz kann unter den derzeit bestehenden Bedingungen nicht erfüllt werden. Mitarbeitende der Jugendämter und freien Träger der Jugendhilfe geraten alltäglich an ihre Grenzen. Der Deutsche Kinderverein e.V. warnt vor einem kollabierenden Jugendhilfesystem und fordert von der Politik umgehende Maßnahmen, damit für Kinder und Jugendliche schnelle und fachlich sinnvolle, qualifizierte Hilfen zur Bewältigung von Krisensituationen zur Verfügung stehen. 

„Wir sind nicht die einzige Kinderschutzorganisation, die auf die verheerenden Bedingungen in der Jugendhilfe aufmerksam macht. Zahlreiche Verbände und Organisationen sorgen sich massiv und zeichnen ein erschreckendes Bild unserer Jugendhilfe“, erklärt Rainer Rettinger, Geschäftsführer des Deutschen Kindervereins. „Die Probleme sind der Politik nicht erst seit kurzem bekannt. Eine schnelle Lösung ist gefordert. Sonst bleiben die Schwächsten unserer Gesellschaft ohne ausreichenden Schutz. Es fehlt Geld, es fehlen Inobhutnahmeplätze und es fehlt gut geschultes Personal. Das Thema Kinderschutz sollte in allen pädagogischen Ausbildungen ein Pflichtmodul sein, ist es aber nicht. Außerdem braucht es mehr Geld in den Töpfen für Fort- und Weiterbildung von Jugendhilfepersonal. Und es mangelt an technischem Equipment, Besprechungsräumen – Mittel um die Arbeit in der Jugendhilfe effektiver zu gestalten. Kurz- und langfristiges politisches Handeln ist dringend notwendig.“

Bereits Ende letzten Jahres beschrieben 30 Jugendamtsleitungen in einem umfangreichen Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Allgemeiner Sozialer Dienst (BAG ASD) die derzeitige Situation. Unter dem Titel „Krise als neue Normalität“ zeigen sie die Realität des Kinderschutzes in Deutschland: Fehlende Fachkräfte bedeuten nicht nur an ihre Grenzen geratende, überforderte Jugendhilfemitarbeitende, sondern schlichtweg auch unzählige nicht bearbeitete Fälle. Ein Fall, der in der Jugendhilfe nicht bearbeitet wird, kann ein Kind bedeuten, das nicht rechtzeitig aus seiner mitunter lebensgefährlichen Notsituation herausgeholt wird. Die Folgen sind gravierend. Und selbst dann, wenn ein Fall bearbeitet werden kann, führt es häufig nicht zum gewünschten Resultat, denn es mangelt beispielsweise an Inobhutnahmeplätzen. Auch werden notwendige Beratungs- und Hilfeprozesse aus Personalmangel ausgesetzt,  vorgeschaltete Maßnahmen finden in der Folge nicht bzw. zu spät statt.

Im April 2023 verfasste die Bundesarbeitsgemeinschaft ASD ergänzend zum Positionspapier einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz und Familienministerin Elisabeth Paus. Auch hier wurde umfangreich dargestellt, in welcher Lage sich die Jugendhilfe befindet. Kerstin Kubisch-Piesk, Vorsitzende des BAG ASD, beschreibt die „zunehmende Verzweiflung der Jugendämter und freien Träger der Jugendhilfe“ und fordert von der Bundesregierung die „unverzügliche Einberufung eines Kinderschutzgipfels“.

„Ein sehr gut formulierter Brief mit wertvollen Inhalten und Forderungen für den Kinderschutz und einem sehr klar definiertem Ist-Zustand der Jugendhilfe“, so Rettinger vom Deutschen Kinderverein.

„Wir müssen lauter werden! Dass unsere Gesellschaft es nicht schafft, hilfsbedürftigen Familien, Kindern und Jugendlichen den nötigen Schutz zu geben, muss öffentlich hörbarer werden. Ich fordere die Bundespolitik, Landespolitik, Kommunen und Jugendhilfeausschüsse auf, schnelle Lösungen zu finden und dafür zu sorgen, dass Kinderschutz in Deutschland langfristig verlässlich ist.“ Während die Politik sich Zeit lässt, werden in Frankfurt Jugendhilfemitarbeitende aus Mangel an Krisenplätzen gebeten, Kinder als Notunterkunft bei sich zuhause unterzubringen und die Berliner Jugendhilfe führt Wartelisten und ist damit nicht alleine.Eine deutliche Änderung dieser Bedingungen ist dringend erforderlich. Entschlossen erklärt Rettinger: „Die Politik muss handeln und sich verantwortlich zeigen. Wir fordern eine von Bundeskanzler Olaf Scholz einberufene Expertenrunde, die zeitnahe Maßnahmen erarbeitet und eine intakt funktionierende Jugendhilfe zum Ziel hat. Wir haben keine Zeit mehr!“

Das Fazit der alarmierenden Zustände in der deutschen Jugendhilfe schockiert und wird mit einem Zitat der Frankfurter Erziehungswissenschaftlerin Prof. Maud Amal Nordstern kaum besser formuliert:

„Kinderschutz kostet Geld. Fehlt er, kostet dies Leben.“