Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen aus dem Bundesfamilienministerium hat Anfang Oktober Fachkreise und Verbände mit der Bitte um Kenntnis- und Stellungnahme erreicht. “Wir begrüßen die Initiative des Ministeriums”, erklärt Rainer Rettinger, Geschäftsführer des Deutschen Kindervereins. Die Analyse des Entwurfes brauche allerdings mehr Zeit, als vom Ministerium zugestanden – innerhalb von nur drei Wochen sollen sich die Verbände äußern. “Zur Abschätzung von Folgewirkungen und Regelungslücken benötigen wir mehr Zeit”, so Rettinger.

Um zumindest ein kurzes Feed-Back zu geben, seien hier folgende Empfehlungen des Deutschen Kindervereins an das Bundesfamilienministerium genannt:

  • Rechtsanspruch aller Kinder und Jugendlichen auf regelmäßige persönliche Gespräche in kindgerechter Umgebung mit der fallzuständigen Fachkraft des Jugendamts über ihr Befinden und ihre Wünsche sowie mögliche Gefährdungen. Diese Gespräche sollen sobald dies der Entwicklungsstand des Vorschulkindes zulässt (idR ab 3 Jahren) ohne Eltern, Geschwister und die Mitarbeiter von Diensten geführt werden, die Erziehungshilfen erbringen.Während diesem Gespräch hat eine kindgerechte Information zu erfolgen, dass jedes Kind ein Recht auf gewaltfreie Erziehung hat (§1631 SGBVIII), wie es seinen Initiativrecht auf vertrauliche Beratung (§ 8 Abs. 3SGBVIII) ganz konkret wahrnehmen kann und dass jedes Kind ein Recht auf Inobhutnahme, auch ohne Angabe von Gründen hat.

 

  • Wir halten es zudem für dringend angezeigt, dass die bundesweit einheitliche Begrenzung der Fallzahlen – wie schon im Vormundschaftsrecht – einheitlich geregelt und begrenzt wird. Für den ASD  (HzE/8a) sollte die Zahl der betreuten Kinder bei nicht mehr als 30 Minderjährigen liegen.

 

  • Zum Fachkräftegebot des § 72 SGBVIII muss bundesweit klargestellt sein, dass für die Tätigkeit im Jugendamt (ASD, PKD, Kinderschutzdienste) sowohl eine Hochschulausbildung mit Schwerpunkt Kinderschutz, hilfsweise zunächst die regelmäßige Fort- und Weiterbildung zum Kinderschutz vorausgesetzt wird, die zum Schutz und zur Hilfeplanung für Kinder befähigen, die seelische, körperliche bzw. sexuelle Misshandlung und Vernachlässigung erleiden.

 

  • Es bedarf einer bundesweiten Fachaufsicht über die Jugendämter und der flächendeckenden Einführung niedrigschwelliger Beschwerdeverfahren, insbesondere für Kinder und Jugendliche sowie der Schaffung möglichst unabhängiger Ombudstrukturen.

 

  • Wir empfehlen die Einsetzung von Kinderschutzbeauftragen mit Schwerpunkt Sexuellem Missbrauch in jedem Bundesland, finanziert (und damit unabhängiger) aus Mitteln des Bundes.

 

  • Wir empfehlen den Verbleib der Pflegekinder (§ 1632 BGB) nicht daran zu binden, ob den Eltern – noch einmal –  die Chance gegeben wurde, das Kind wieder selbst zu erziehen, sondern auch den Interessen jener Kinder Rechnung zu tragen, denen ein Zusammenleben mit Eltern, die sie massiv misshandelt und vernachlässigt oder nicht vor solchen Schäden bewahrt haben, auf Dauer nicht zuzumuten ist. Die Überprüfung des FamG hat sich also darauf zu konzentrieren, ob die Jugendhilfe den fachlichen Forderungen des § 37 SGBVIII zur Perspektivplanung hinreichen entsprochen hat. Die (am besten mit einer Frist von 12 Wochen zu versehene) prognostische Festlegung und Hilfeplanung nach § 37 SGBVIII muss für alle Beteiligten der verbindliche Maßstab sein. Der jetzige Entwurf verdoppelt diesen Prozess und setzt Kinder und Pflegefamilien einer extrem belastenden Verunsicherung aus.
    Grundlegend empfehlen wir abweichend vom Entwurf am Entwicklungsstand orientierten Fristen, wie sie im Ausland üblich sind, die den Verbleib des Kindes nach einem entsprechenden Zeitraum in der Familie absichern, so dass Kinder und Pflegefamilien nicht die Hürde langjährig hoch belastender und kostenintensiver juristischer Verfahren nehmen müssen, bzw. davon abgeschreckt das Kind trotz größter Bedenken an die Eltern herausgeben. Nach Ablauf einer solchen Frist, sollte es dem Kind möglich sein, den Namen seiner Pflegefamilie anzunehmen. Seitens der Eltern wäre als Ausnahmeregelung nachzuweisen, dass es dem Kindeswohl am besten entspricht, wenn das Kind seine langjährige Pflegefamilie verlassen muss.

 

  • Der Deutsche Kinderverein unterstützt die sog. Care-Leaver in ihren berechtigten Forderungen, dass erste Lohnzahlungen im Arbeitsleben zum Aufbau einer selbständigen Zukunft verwendet werden können und nicht zu 75 % und auch nicht zu 25 % vom Staat einbehalten werden.

 

  • Angesichts der hohen Quote an (nicht erreichten) Hauptschulabschlüssen von Care-Leavern muss für diese Gruppe ein Rechtsanspruch auf schulische Förderung, Nachhilfe und Mentoring bei Unterbringung nach § 34 SGBVIII und 35 a SGBVIII vorgesehen werden.

 

  • Vielfach erkennen Jugendämter nicht, dass ein Rechtsanspruch auf Förderung nach § 35a SGBVIII besteht und deshalb können seelisch beeinträchtigte Kinder diesen auch nicht selbst geltend machen. Die von belastenden und oft traumatischen Erfahrungen geprägte Lebensgeschichte der im Heim platzierten Kinder lässt die derzeit bestehende gesetzliche Regelung als unzureichend erscheinen. Eine Unterbringung in therapeutischen Gruppen muss die Regel sein, eine Ausnahme hiervon, etwa bei Platzierung in Internaten, eine vom Jugendamt gut zu begründende Ausnahme werden.