Unter dem Hashtag #MisshandlungBleibt beginnt der Deutsche Kinderverein mit Sitz Essen in den kommenden Wochen eine Kampagne in den sozialen Netzwerken, um auf das Leiden von Misshandlungs-Opfern aufmerksam zu machen. „Kindesmisshandlung endet nicht mit der Tat“ erläutert Rainer Rettinger, Geschäftsführer des Deutschen Kindervereins Essen e.V., den Hintergrund der Aktion. Häufig leiden Opfer von Misshandlungen noch Jahre bzw. Jahrzehnte später unter den traumatischen Erfahrungen. Die erfahrene Misshandlung beeinflusst das Leben der Personen auch nach ihrem Ende oftmals weiterhin.
Konzipiert hat die Kampagne der Theologe Tim Allgaier. „In meinem beruflichen Engagement in der Jugendhilfe erlebe ich jeden Tag die Langzeitfolgen von Kindesmisshandlung. Es ist mir ein Anliegen gewesen, nicht nur Misshandlung zu thematisieren, sondern auch die oftmals fatalen Auswirkungen auf die schutzlosen Opfer in den Blick zu rücken“. Zur Bewältigung der überfordernden Erfahrung des machtlosen Ausgeliefertseins entwickeln gerade junge Menschen häufig Strategien, die später als „Störung des Sozialverhaltens“ diagnostiziert werden. „Die Spuren der Misshandlung verschwinden- aber nur äußerlich. Die Misshandlung an sich bleibt und formt den Menschen fortan. Es ist wie die Strafe für ein Verbrechen, das man nicht begangen hat“.
Welche drastischen Auswirkungen dies haben kann, schildert eindrücklich die Lebensgeschichte von Lilly Lindner. Die Schriftstellerin, die selber körperliche Gewalt und sexuellen Missbrauch in frühster Kindheit erfuhr, stellt die Texte zur Verfügung, die im Zentrum der Kampagne stehen. In ihrem Buch ‚Splitterfasernackt‘ beschreibt sie ihre eigene traumatische Lebensgeschichte. Die Erfahrung von sexuellem Missbrauch im Alter von sechs Jahren führte die heute 30-Jährige nicht nur in die Magersucht, sondern unter anderem auch in eine Rehabilitationsklinik für Kinder und Jugendliche, in psychologischer Behandlung sowie Prostitution. „Wir verwenden die wortgewaltigen, oft verstörenden Aussagen von Lilly Lindner um das Leiden vor Augen zu führen, das bleibt, wenn die Verletzungen verheilt sind“, so Rettinger. „Wir möchten vor allem auf eines aufmerksam machen: Es ist nicht damit getan, die Misshandlungen zu verhindern oder zu beenden. Vorbeugen und die Früherkennung von Kindesmisshandlung sind wichtige Bausteine im Kampf für das Kindeswohl, aber auch die therapeutische Nachsorge ist elementar für Menschen, die Missbrauch und Misshandlung überstanden haben.« Insbesondere vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise stellen sich hier gewaltige Herausforderungen. „Traumata verfolgen auch Flüchtlinge und bleiben nicht an der Grenze zurück. Viele Flüchtlingskinder haben Unaussprechliches erlebt – dies wird sie ebenso ihr Leben lang prägen und unser Zusammenleben beeinflussen. Auch für sie treten wir als Deutscher Kinderverein ein. Therapeutische Nachsorge hilft auch hier, bleibendes Leid zu mindern und die Integration zu verbessern.“
Dafür werden in den nächsten Wochen unter dem Hashtag #MisshandlungBleibt spezifische Inhalte und die erwähnten Texte der Vereins-Botschafterin Lilly Lindner den Online-Auftritt des gemeinnützigen Vereins prägen und so das lange Leiden von Misshandlung und Missbrauch illustrieren. Dies stellt den Auftakt zu der weiteren Kooperation der Schriftstellerin und dem Deutschen Kinderverein dar.
Hintergrund: Der Deutsche Kinderverein mit Sitz in Essen setzt sich seit seiner Gründung im Jahr 2012 für die Rechte der Kinder ein. Schwerpunkt seiner Arbeit bildet Artikel 19 der UN-Kinderrechtskonvention, der sich zu Gewaltanwendung, Misshandlung und Vernachlässigung äußert. Misshandlung an Kindern darf nicht tabuisiert, ignoriert oder gar bagatellisiert werden, weder von der Politik und Justiz noch von den Jugendämtern und schon gar nicht von uns, der Gesellschaft. Mit TV- und Radiospots, Kampagnen und Veranstaltungsreihen will der Deutsche Kinderverein die breite Öffentlichkeit für das Thema Kindesmisshandlung sensibilisieren und ein Bewusstsein dafür schaffen.
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