Beim Kampf um höchste Einschaltquoten und Nutzungsraten versäumen es zu viele Medien, das Wohl von Kindern zu schützen und deren Rechte zu wahren. Diesen schweren Vorwurf erhebt der Deutsche Kinderverein e.V. Sein Geschäftsführer Rainer Rettinger verwies in Essen in diesem Zusammenhang auf den jüngsten Skandal in der Sat1-Reihe „Plötzlich arm, plötzlich reich“. In der Serie tauschen vor den Augen der TV-Kameras eine arme und eine reiche Familie für jeweils eine Woche Wohnung, Haushaltsbudget und Umfeld.

„Zwar hat sich der Privatsender soeben in sozialen Netzwerken dafür entschuldigt, dass bei Dreharbeiten eine Familie mitwirkte, deren zwei Kinder nach Eindrücken eines beteiligten Prominenten schwer traumatisiert sind. Aber wir sind skeptisch, ob – wie versprochen – ein Wiederholungsfall ausgeschlossen wird“, sagte der Essener Kindervereins-Experte. Nach seiner Beobachtung versagt in bestimmten Medien allzu häufig die moralische Selbstkontrolle der Verantwortlichen.

Partysänger Ikke Hüftgold hatte Sat1-Skandal publik gemacht

Wie der von Matthias Distel, bekannt als Partysänger Ikke Hüftgold, publik gemachte Skandal zeige, führe eine „erbarmungslose Jagd nach Einschaltquoten und Reichweiterekorden zu schlimmen Verstößen gegen die Würde von Kindern und Jugendlichen“. Gerade schutzbedürftige Minderjährige, so Rettinger, dürften durch reißerische Medienberichterstattung niemals „als Objekte vermarktet“, ihr Leid dürfe keinesfalls „missbraucht“ werden: „Sonst verspielen Redaktionen das ohnehin verminderte Vertrauen in Massenmedien und tragen sogar noch zum Leid der jungen Betroffenen bei.“

In seiner Stellungnahme unterstreicht der Deutsche Kinderverein, dass die Kinderrechte auch in der Medienwelt gelten und insbesondere das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen sei. Das lege auch Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention fest, erinnert der Kinderverein.

Erinnerung an mediale Entgleisungen nach mehrfacher Kindstötung 2020 in Solingen

Sein Geschäftsführer Rettinger erinnerte in diesem Zusammenhang auch an Berichte über eine mehrfache Kindstötung im vergangenen Jahr in Solingen. Bild.de, Rheinische Post und die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung hatten dabei Passagen aus einem Messenger-Chat zwischen dem einzig überlebenden Sohn (11) und dessen Freund (12) zitiert. Der Presserat rügte die drei Medien im vergangenen Dezember. Alle drei getadelten Redaktionen löschten die WhatsApp-Nachrichten nachträglich aus ihrer Berichterstattung.

„Solche eklatanten Fälle von Missachtung des Kinderschutzes und des Kindeswohls in einigen Medien unterstreichen, dass dieses Thema dringend in die Journalistenausbildung und in Weiterbildungsseminare aufgenommen gehört“, forderte Rettinger. Er verwies zugleich aber auch auf einige „positive und mutmachende Beispiele, wie Medien Verständnis für die Bedürfnisse von Kindern fördern“. Unter anderem nannte er das am 17. Mai ausgestrahlte ZDF-Sozialdrama „Systemsprenger“ über eine laute, wilde, unberechenbare Neunjährige, die immer wieder aus ihren Bezugsgruppen herausfliegt – egal ob Pflegefamilie, Wohngruppe oder Schule.

„Es gibt aber einige auch positive, mutmachende Beispiele“

Zu den positiv hervorzuhebenden medialen Projekten gehört laut Deutschem Kinderverein auch das preisgekrönte Multimedia-Projekt „Opfer ohne Stimme – wie wir unsere Kinder vor Gewalt schützen“, mit dem der Hessische Rundfunk im Mai 2018 Kindesmisshandlung in Deutschland aus der Dunkelheit ans Licht holte. Das Team von hr-iNFO und hr-fernsehen sorgte damals mit seinem Radioschwerpunkt und dem ARD-weit ausgestrahlten Film „Wenn Eltern ihre Kinder misshandeln“ für ein großes Echo in Politik und Fachwelt sowie beim Publikum. Beispielhaft ist nach Angaben des Deutschen Kindervereins auch die Kinderschutz-Berichterstattung der Tagesspiegel-Autorin Caroline Fetscher.