Das Bundeskabinett hat den Entwurf für den nächsten Haushalt beschlossen: Fast zwölfeinhalb Milliarden Euro soll demnach Familienministerin Christine Lambrecht im kommenden Jahr ausgeben dürfen – 200 Millionen mehr als in diesem Jahr. Aber wo fließt das Geld hin, fragen sich Kinderschützer. „In der Coronakrise haben die Meldungen von Kindeswohlgefährdung zugenommen und die Dunkelziffer ist aufgrund von Schul- und Kitaschließungen sowie dem Wegfall fast aller Aktivitäten im Freizeitbereich mit Sicherheit hoch“, fasst Rainer Rettinger, Geschäftsführer des Deutschen Kindervereins e.V. die Situation zusammen. Er hatte darauf gehofft, dass jetzt verstärkt in Maßnahmen zum Kinderschutz investiert wird.
Bei der Durchsicht der geplanten Ausgaben des Ministeriums zeigt sich Rettinger allerdings enttäuscht. „Viele Programm werden einfach nur fortgeführt oder etwas aufgestockt. Von einem großen Wurf, der ähnlich den milliardenschweren Wirtschaftsförderprogrammen geeignet wäre, beim Thema Kinderschutz endlich voranzukommen, ist dieser Haushalt meilenweit entfernt.“
Beispiel Bundesstiftung Frühe Hilfen: Hier werden Unterstützungsangebote für Familien mit Kindern unter drei Jahren finanziert, das Ministerium stellt fest: „Mit der Pandemie erhöht sich der Bedarf an Unterstützungsangeboten.“ Im Ergebnis wurde der Etat um 35 Millionen auf 86 Millionen erhöht.
Für Freizeit-, Ferien-, Begegnungs- und Sportangebote für Kinder stehen im Kinder- und Jugendplan 264 Millionen Euro zur Verfügung – 40 Millionen wurden aufgrund der Pandemie zugeschossen. Bundesweit wohlgemerkt.
Der Fonds Sexueller Missbrauch sei dagegen „ausreichen befüllt“ und benötige keine weiteren Mittel. Eine erstaunliche Auffassung der Bundesregierung angesichts stabil hoher Missbrauchszahlen in Deutschland. Zudem ist dies keineswegs die einzige Form der Misshandlung, die Kinder in der Pandemie erleben mussten. Was ist mit Kindern, die seelischer Grausamkeit, körperlichen Misshandlungen oder schwerer Vernachlässigung ausgesetzt waren, wie unlängst der Fall des siebenjährigen Jungen aus Hildesheim zeiht. Die Mutter soll ihren Sohn im ersten Corona-Lockdown schwer misshandelt haben – ihr werden Schläge mit einer Thermoskanne und Essensentzug als Strafe vorgeworfen. Die Frau soll dem Kind nicht genügend zu essen gegeben, es eingesperrt und potenziell lebensgefährlich verletzt haben. Laut Anklage sollen Polizeibeamte das abgemagerte Kind in einem Schrank entdeckt haben. Der Junge wog demnach nur noch 13,8 Kilogramm.
Die Jugendämter arbeiten seit Monaten mit großem Einsatz, aber am Limit. Wo ist die Aufstockung des Personals, der Neubau von Büros und Besprechungsräumen, die Digitalisierungsstrategie für Jugendämter, wo sind Diensthandys und Dienstfahrzeige (siehe „Berufliche Realität im Jugendamt“, Prof. Kathinka Beckmann)? Ähnlich wie im Gesundheitssystem seien auch viele Fachkräfte in Jugendschutzeinrichtungen durch die Krise seit vielen Monaten überbelastet und erschöpft, stellt Rainer Rettinger fest. „Leider haben die Jugendämter, die mit großem Einsatz in der Pandemie gekämpft haben, es versäumt, in der Krise Alarm zu schlagen. Milliarden-Hilfen gingen eher an die Lufthansa, TUI oder Regional-Flughäfen als an die Jugendhilfe“, kritisiert der Kinderschützer.
Ähnlich den Milliardenhilfen in der Wirtschaft hätte es landesweite Programme gebraucht, um beispielsweise gefährdeten Kindern sichere Anlaufstellen zu bieten, meint der Deutsche Kinderverein. Wie gelangen Kinder, die im Lockdown Gewalt und Missbrauch erlebt haben an Informationen? Wo sind die flächendeckenden Beratungs- und Anlaufstellen, die wir dringend brauchen? Die Bundesländer hielten in der Pandemie Kitas und Schulen mit dem Hinweis auf Förderbedarf von Kindern und Jugendlichen aus sozial schwachen Familien und problematischem Umfeld offen, versagten aber beim zielgerechten Ausbau von Kinder- und Jugendhilfen, so der Deutsche Kinderverein.
„Angesichts der mächtigen finanziellen Mittel, die Deutschland im Zeichen der Pandemie aufgebracht hat, ist der Anteil für unsere Kinder, die in vielerlei Hinsicht besonders unter den Lockdowns und Schutzmaßnahmen gelitten haben, nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein“, zieht Rainer Rettinger ein trauriges Fazit aus den Haushaltszahlen.