Wollen Sie sich dafür stark machen, dass das Amt des Unabhängigen Beauftragten neben sexuellem Kindesmissbrauch künftig auch physische und psychische Gewalt gegen Kinder ins Visier nimmt?
Kinderschutz verdient eine sehr hohe Priorität und Aufmerksamkeit. Allerdings glaube ich, dass wir dem Amt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des Sexuellen Missbrauchs an Kindern (UBSKM) keinen Gefallen tun, wenn wir die Zuständigkeiten vorschnell ausweiten. Ich plädiere zunächst für eine Stärkung des bestehenden Amtes und für eine Nationale Strategie gegen sexuellen Missbrauch, um auch auf der Länderebene entsprechende Strukturen zu schaffen. Der/die UBSKM sollte regelmäßig gegenüber Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat zum Ausmaß und zum Stand von Prävention, Intervention, Hilfen, Forschung und Aufarbeitung berichten. Die Berichtspflicht sollte ebenso wie das Amt selbst vergleichbar dem Datenschutzbeauftragten gesetzlich verankert werden. Wenn das gelungen ist, kann man darüber diskutieren, über den sexuellen Missbrauch als eine der schlimmsten Formen von psychischer und physischer Gewalt hinaus auch weitere Formen von Gewalt gegen Kinder in den Blick zu nehmen.
Wollen Sie sich dafür einsetzen, dass in der Erzieherausbildung, im Studium Soziale Arbeit, in der Pädagogik/Erziehungswissenschaft, in der Ausbildung für das Familiengericht, im Psychologiestudium, Verfahrensbeiständen und Sachverständigen „Kinderschutz“ als Pflichtfach eingeführt wird?
Verpflichtende Fortbildungen im Kinderschutz für Jugendämter, Familiengerichte und Arztpraxen, aber auch für Kitas und Schulen halte ich für eine sehr sinnvolle Sache. In den von Ihnen genannten Ausbildungen und Studiengängen sollten auf jeden Fall entsprechende Kenntnisse vermittelt werden, sofern das noch nicht geschieht. Ausbildungs- und Studienordnungen liegen allerdings zum allergrößten Teil nicht in der Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers.
Einiges haben wir in diese Richtung bereits unternommen: Mit der Möglichkeit, Kinderschutzarbeit von Kinderärzt*innen demnächst über das SGB V zu vergüten, haben wir im medizinischen Bereich einen wichtigen Schritt getan für eine bessere Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzt*innen. Die medizinische Kinderschutzhotline bietet zudem kollegiale Beratung in Zweifelsfällen. Sie sollte noch viel stärker bekannt gemacht werden. Seit der Einführung der „insoweit erfahrenen Fachkraft“ verfügen Jugendämter und Träger heute schon über entsprechend fortgebildete Kolleginnen und Kollegen, die Schulen, Kitas und auch Arztpraxen auch beratend zur Seite stehen und hinzugezogen werden können und sollen. Auch für Familienrichter*innen konnten wir inzwischen Eingangsvoraussetzungen formulieren (Eingangsvoraussetzungen nach § 23 Gerichtsverfassungsgesetz). Die konkrete Ausgestaltung von Fortbildungspflichten ist aber Ländersache. Daneben bleiben die praktischen Probleme groß, denn an allen Stellen (Gerichte, Jugendämter, Kitas, Schulen) herrscht großer Fachkräftemangel. Die Qualifizierung bleibt darum eine langfristige Daueraufgabe.
Wollen Sie sich angesichts der Verantwortung des Staates, Kinder und Jugendliche in unserem Land vor Gewalt zu schützen, für die dringend benötigte bessere Ausstattung der Jugendämter in puncto Personalstärke, Digitalisierung und Mobilität einsetzen?
Die bessere Ausstattung von Jugendämtern ist mir und meiner Fraktion ein großes Anliegen. Im Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, das am 10.6.2021 in Kraft getreten ist, haben wir bereits die Digitalausstattung und die Anwendung von Personalbemessungsinstrumenten als Vorgaben festgeschrieben. Da die Kinder- und Jugendhilfe eine kommunale Aufgabe ist, gilt es, die Kommunen für diese Aufgabe finanziell hinreichend auszustatten. Wir wollen zum Beispiel durch den Erlass von Altschulden hoch verschuldeten Kommunen wieder den nötigen Spielraum für diese Aufgaben geben.
Ulrike Bahr, MdB (antwortet uns im Auftrag der Fraktion und für das Büro des Kanzlerkandidaten)
Berichterstatterin der SPD-Fraktion für Kinder- und Jugendhilfe und (stellvertretendes) Mitglied der Kinderkommission des Deutschen Bundestags