Prof. Dr. Michael Tsokos, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin und der Gewaltschutzambulanz an der Berliner Charité, veröffentlichte gemeinsam mit einer Kollegin 2014 erschütternde Tatsachenberichte in dem Bestseller „Deutschland misshandelt seine Kinder”. Demnach werden jedes Jahr 200.000 Kinder Opfer von Gewalt durch Erwachsene.

Herr Prof. Tsokos, 200.000 misshandelte Kinder pro Jahr in Deutschland. Das ist eine wahnsinnige Zahl. Was funktioniert hier nicht?

Prof. Tsokos: Das ist vor allem eine nicht tolerable Zahl. Der Kinder- und Jugendschutz in Deutschland muss grundlegend verändert werden. Bislang ist Jugendschutz Ländersache und daher nicht einheitlich geregelt. Wir fordern von der Politik eine einheitliche transparente Struktur und die Kontrolle der Kontrolleure – etwa durch eine TÜV-Zertifizierung aller Jugendhilfeeinrichtungen. Außerdem sollten vor allem Jugendamtsmitarbeiter und Kinderärzte rechtsmedizinisch geschult werden, damit sie Missbehandlungen besser als solche erkennen.

Können mehr Kinderschutzambulanzen ein Weg sein, Schlimmeres zu verhindern?

Ja, Kinderschutzambulanzen flächendeckend zu etablieren, ist eine unserer zentralen Forderungen. Die Arbeit der dort verantwortlichen Ärzte und Kinderärzte kann viel zum Nachweis von Schuld, aber auch von Unschuld beitragen.

Gibt es weitere Projekte des Deutschen Kindervereins – und warum engagieren Sie sich gerade dort?

Als nächstes steht die bundesweite Aufklärung über das für Babys lebensgefährliche Schütteltrauma an. Geplant ist dazu auch eine Hotline, die überforderte Eltern beraten kann. Außerdem sammelt der Verein Spenden für die Sanierung eines Hauses, in dem misshandelte Kinder und deren Pflegeeltern eine Auszeit nehmen können und therapeutisch begleitet werden. Als Botschafter des Deutschen Kindervereins engagiere ich mich, weil es hier um die Sache geht. Das Geld fließt nicht in Personalkosten, sondern in Kinderschutz-Projekte.